Vervierfachung der Anzahl Übertritte zum Zivildienst nach der Abschaffung der Zulassungskommission

Fritz Maurer, Maschineningenieur HTL, Herausgeber der Publikation: Unsere Armee einst und jetzt

Gemäss der Armeeauszählung 2024 betrug der Effektivbestand der Armee am 1. März 2024 146’974 Armeeangehörige (AdA). Dennoch kann in den nächsten Jahren eine ausreichende Alimentierung der Formationen in den Wiederholungskursen nicht sichergestellt werden.1)
Wegen den Übertritten zum Zivildienst hat die Armee im Jahr 2024 die rekordhohe Anzahl von 6799 für den Militärdienst tauglich ausgehobene junge Schweizer verloren. 

Nach der Abschaffung der Zulassungskommission nutzten durchschnittlich jährlich rund 6000 militärdiensttauglich Ausgehobene die praktisch gewährte Wahlfreiheit und zogen den Zivildienst mit der freien Wahl des Arbeitseinsatzes und den Bequemlichkeiten – geregelte Arbeitszeit, zu Hause schlafen etc. – dem Militärdienst vor. Jeweils rund die Hälfte stellte das Zivildienstgesuch vor der Rekrutenschule (RS) und ersparte der Armee so wenigstens die Ausbildungskosten.

Rund ein Drittel stellte das Gesuch für den Zivildienst erst nach der RS und profitierte nachher im Zivilen von der Ausbildung im Militär. Ein Militärmotorfahrer mit Ausbildung auf Lastwagen darf auch im zivilen Lastwagen fahren.

Wie die Armeeauszählung zeigt, haben die bewilligten Abgänge zum Zivildienst für die Armee verheerende Folgen. Rund die Hälfte der 2020 zum Zivildienst gewechselten 5254 jungen Wehrpflichtigen haben eine gute Ausbildung:

  • 1777 waren Studenten
  •   414 waren Informatiker und
  •   434 hatten eine kaufmännische Ausbildung.

In 5 Jahren von 2019 bis 2023 hat die Armee von den militärisch ausgebildeten AdA an den Zivildienst verloren:1)

OffiziereMaj, Hptm, Oblt, Lt257
Höhere UnteroffiziereAdj Uof; Hpfw, Fw203
UnteroffiziereObwm, Wm, Kpl1241
MannschaftObgfr, Gfr, Sdt9375

Die geduldete freie Wahl des Zivildienstes bewirkt, dass in den letzten Jahren die Zahl von 18’000 jährlich benötigten «ausexerzierten» AdA nicht mehr erreicht wurde. Dadurch ist der Kontrollbestand −neu Zielalimentierung genannt − für eine 100’000 AdA starke «WEA» nicht sichergestellt.

Erschwert wird die Ausbildung in den Wiederholungskursen nicht nur durch die Unterbestände, welche die Zivildienst-Übertritte bewirken, sondern auch, weil die eingeteilten AdA nach sechs geleisteten WK nicht mehr WK-pflichtig sind. Ebenfalls werden vor den Wiederholungskursen viele Dispensations- und WK-Verschiebungsgesuche eingereicht. Weil verschobene Dienste nachgeholt werden müssen, gibt es Einheiten, welche bis zu einem Drittel Gast-WK-Absolventen beklagen. Der Unterbestand und der Anteil einheitsfremder AdA erschweren in den Einheiten die Teambildung und mindern den inneren Zusammenhalt.

Massnahmen zur Reduktion der Anzahl Übertritte zum Zivildienst.3)

In der Botschaft zur Änderung Zivildienstgesetz vom 19.Febr. 2025 (25.033) sieht der Bundesrat vor, dass für eine Umteilung vom Armeedienst zum Zivildienst zukünftig folgende Bedingungen erfüllt sein müssen: 

1. Die Mindestanzahl von 150 Diensttagen im Zivildienst muss in jedem Fall gewährleistet sein;
2. Faktor 1.5 gilt auch für Unteroffiziere und Offiziere bei der Dienstageberechnung für den Zivildienst;
3. Keine Einsätze im Zivildienst, die ein begonnenes oder abgeschlossenes Human-, Zahn- oder Veterinärstudium erfordern;
4. Keine Zulassung von Angehörigen der Armee mit 0 Restdiensttagen;
5. Jährliche Einsatzpflicht ab Zulassung;
6. Pflicht, den sog. «langen Einsatz» spätestens im Kalenderjahr nach der rechtskräftigen Zulassung abzuschliessen, wenn das Gesuch während der RS gestellt wird.

Die Einführung eines ähnlichen Massnahmenkatalogs zur Eindämmung der Übertritte ist 2020 im Nationalrat gescheitert. Mit den sechs Massnahmen hofft der Bundesrat die Anzahl der jährlichen Übertritte zum Zivildienst auf 4000 senken zu können.3)

Für die Alimentierung der Armee bringt das eine Verbesserung. Der verfassungsrechtlichen Vorgabe und dem Grundsatz in Artikel 1 des Zivildienstgesetzes wird aber nicht voll Nachachtung verschafft, denn es steht:

  • In der Bundesverfassung in Artikel 59: Militär- und Ersatzdienst: Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor und
  • im Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst (Zivildienstgesetz, ZDG) steht in Artikel 1: Grundsatz: Militärdienstpflichtige, die den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, leisten auf Gesuch hin einen länger dauernden zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) nach diesem Gesetz.

Der Zivildienst ist als verfassungsbasierte Sonderlösung für Personen in einer Ausnahmesituation geschaffen worden. Ohne die ursprüngliche Gewissensprüfung bleibt die Wahlfreiheit zwischen Militärdienst und zivilem Ersatzdienst (Zivildienst) weiterhin auch für andere möglich.

In den Jahren des Kalten Krieges und vor der Einführung des Zivildienstes kannte man diese Probleme nicht. Der Autor Bruno Lezzi schreibt in seinem Buch: «Von Feld zu Feld», dass er in der Kantonsschule den Militär-Historiker Walter Schaufelberger als Klassenlehrer hatte. In der von Lezzi besuchten Matura Klasse sind später von 13 Klassenkameraden 11 in die Offiziersschule eingerückt.4) Das ist heute anders: Es gibt Matura-Klassen, da geht keiner mehr in die Rekrutenschule.

Quellen (abgerufen am 02.04.2025):
1) Armeeauszählung 2024
2) Zivildienstzulassungszahlen
3)  Sechs Massnahmen
4) Lezzi Bruno, Von Feld zu Feld; Edition Königstuhl, 2022, Seite 22