Ein Sieg für die Armee

Dr. Peter Forster, Oberst/Rgt Kdt aD, Publizist und Buchautor

Der 3. Oktober 2008 war im eidgenössischen Parlament ein schwarzer Tag. Mit 134 zu 58 Stimmen schaffte der Nationalrat im Zivildienst die Gewissensprüfung ab. Der Ständerat zog mit 43 Ja und keinem Nein nach. Die verheerenden Beschlüsse traten am 1. April 2009 in Kraft.

Verheerende freie Wahl

Schon Ende April jenes Jahres luden mich Brigadier Willy Siegenthaler, der „silbergraue“ Waffenchef, und der damalige Oberst i Gst René Baumann, Kommandant der RS in Frauenfeld,  zu einem Truppenbesuch auf den Fürstenländer Eppenberg ein. Siegenthaler forderte Baumann auf: „Los, René, berichte von den Zivis!“ Mit den Zivis meinte er die ersten Rekruten, welche die RS ohne Gewissensprüfung verlassen konnten. 

Der erfahrene Berufsoffizier Baumann zeichnete ein realistisches Bild: „Seit Monatsbeginn haben wir den Exodus. Das Gewissen spielt keine Rolle mehr. Ein Kommandant lehnt einen Abendurlaub für ein Rendez-vous mit der Freundin ab. Ein Feldweibel weist einen Rekruten wegen Unordnung am Bett zurecht. Einem Studenten kommt die RS bei seinen Prüfungen in die Quere. Alle drei füllen das Formular für den Zivildienst aus – und sind nach kurzer Karenzzeit weg.“

Siegenthaler erhielt aus allen seinen Schulen solche Meldungen – und er erkannte die Konsequenz für die Armee: Das Parlament hatte schlicht und ergreifend die freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst eingeführt. Fortan hauten Tausende, nein Zehntausende aus nichtigen Gründen ab. 

Mittlerweile versammelt sich im Zivildienst eine amorphe, letztlich ungeführte Masse von Zivis. Im „Schweizer Soldat“ schlug ich Alarm – mit erstem heftigem Echo, aber angesichts der unsäglichen Friedensdividende ohne Wirkung im Ziel.

Idylle am Thurgauer Seerhein

Das Zivi-Angebot spottet jeder Beschreibung. Vom Kuhhorn, einer Ausflugsbeiz am Thurgauer Seerhein, lassen sich die Vögel im deutschen Wollmatinger Ried gut beobachten. An einem warmen Sommer-Nachmittag treffe ich dort um 15 Uhr folgendes Bild an:

Foto fo.

Auf dem Parkplatz steht verlassen ein Kleinbus, den ein Schriftzug als Gefährt des Schweizer Zivilschutzes ausweist, Sparte Vogelbeobachtung. Am Seerhein hocken junge Männer am Boden, über der Szene säuselt sanft der Duft des Rauches. Ich schiesse diskret das Foto, das Furore macht – aber natürlich nichts bringt ausser freundlichen Reaktionen aus Armeekreisen für den „Mut“, die Aufnahme publik zu machen. 

Verschärft hat sich die Notlage für Armee und Zivilschutz in den Amherd-Jahren. Die VBS-Chefin verteidigte die Zivis mit den Worten, die Armee müsse halt attraktiver werden, um gegen den Zivildienst zu bestehen. Wie wenn es die Armee mit straffer Disziplin Tag und Nacht je gegen ein System aufnehmen könnte, bei dem der Zivi zu Hause bei Muttern schläft, die dafür noch entschädigt wird. 

Andreas Hess beschrieb träf den Zivildienst in einem Brockenhaus am Zürichsee. Seine Reportage kulminierte im Satz: „Und 16 Uhr kommt der gefährlichste Moment des Tages: Da holt der Zivi auf dem Trottoir die Werbetafel ein!“

Gift für den Wehrwillen

Für den Schweizer Wehrwillen sind die Zivis Gift. Der Eid der Armee verpflichtet jede und jeden, die „Pflichten auch unter Einsatz des Lebens zu erfüllen.“ Allein schon unter dieser Prämisse kann der Wehrdienst in Viola Amherds Sinn nie attraktiv sein. 

Vor anderthalb Jahrzehnten fügte unser Parlament der Wehrgerechtigkeit schweren Schaden zu. Das war 2008, jetzt haben wir 2025. In Europa herrscht wieder Krieg. Die Bedrohung wächst. Wir müssen für den gefährlichsten, nicht den vermeintlich wahrscheinlichsten Fall rüsten. Wir müssen unser Vaterland nicht nur schützen, sondern verteidigen.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Am 5. Juni 2025 rang sich der Nationalrat mit den Stimmen der FDP, der Mitte und der SVP zur Zusammenlegung von Zivilschutz und Zivildienst durch. Als Erstrat hiess die Volkskammer mit 113 zu 75 Stimmen die Motion gut, die den Bundesrat zur Einführung der Sicherheitsdienstpflicht zwingt. 

Das Prinzip Hoffung

Der Zivilschutz beklagt schmerzhafte Unterbestände, die neu durch Zivis aufgefüllt werden könnten – wenn auch der Ständerat dem Vorstoss der SiK-NR zustimmt. Der Widerstand setzt ein. Die EVP, die 2008 den verhängnisvollen Motionär stellte, schreibt am 5. Juni 2025, der Nationalrat wolle „den Zivildienst faktisch abschaffen.“

Quoi qu’il arrive – ein erster Sieg für den Zivilschutz und die Armee ist errungen. Wenn der Ständerat dem Nationrat folgt, geht der Zivildienst im neuen Katastrophenschutz auf. Er verlöre an Attraktivität für jene, die dem Militärdienst aus Überdruss, Bequemlichkeit oder einem strengen Feldweibel den Rücken kehren. Für den Ständerat gilt das Prinzip Hoffnung.